- Anmelden oder Registrieren, um Kommentare verfassen zu können
- 101 Aufrufe
Der Weg beginnt harmlos – ein schmaler Trampelpfad, kaum mehr als eine Lücke im Unterholz. Noch glauben wir nicht, dass sich hier, tief im Regenwald, das metallene Skelett eines Kriegsflugzeugs verbergen soll. Doch je weiter wir gehen, desto dichter wird das Grün – Wurzeln, Planken, Matsch.
Zunächst steigt der Pfad leicht an. Durch feuchte Schatten und moosige Hänge erreichen wir eine verlassene Radiostation – ein Relikt aus der Zeit des Krieges, nahe eines ehemaligen Radarpostens. Einst diente dieser Ort der Überwachung und Kommunikation, heute ist er eine von Graffiti bedeckte Ruine, überwuchert von Farnen und Moos. Ein Zwischenort – zwischen Strategie und Verfall, zwischen Geschichte und Gegenwart.
Nach dem kurzen Aufstieg führt uns der Weg steil hinab, hinein in ein sumpfiges, verwurzeltes Gelände. Holzplanken helfen über feuchte Abschnitte, das Gelände wird schwieriger. Das Licht wechselt. Vögel schweigen. Und dann, plötzlich, ein Stück Aluminium im Moos. Ein Ruder. Ein Fragment. Die Geschichte beginnt sichtbar zu werden.
Der Absturz vom 10. Februar 1945
Hier stürzte am späten Abend des 10. Februar 1945 eine Consolidated Canso A (Seriennummer 11007) der Royal Canadian Air Force ab – beladen mit 3.400 Litern Treibstoff, vier 100-Kilogramm-Wasserbomben und zwölf jungen Männern. Die Maschine war zu einer nächtlichen Patrouille gegen deutsche U-Boote gestartet, als kurz nach dem Abheben das linke Triebwerk versagte.
Der damals 20-jährige Pilot, Flying Officer Ronnie Scholes, entschied in Sekunden: keine Rückkehr zum Stützpunkt, kein Risiko für die Küstensiedlungen – sondern ein gezielter Aufprall im nahen Wald. Eine Entscheidung zwischen Katastrophe und Kontrolle. Und sie rettete allen das Leben.
Ein Lager aus Fallschirmen
Die Besatzung, nur leicht verletzt, errichtete aus ihren Fallschirmen ein notdürftiges Lager und wartete auf Rettung. Am Morgen darauf wurde sie entdeckt und geborgen. Die Wasserbomben, die den Absturz unbeschadet überstanden hatten, wurden später vor Ort kontrolliert gesprengt. Der dadurch entstandene Krater ist heute als kleiner Teich sichtbar – ein unscheinbares Relikt einst explosiver Fracht.
Der Weg durch den Wald
Nach dem Moor steigt der Pfad erneut an. Wir folgen der Geschichte: über rutschige Planken, unter tief hängenden Ästen hindurch, an Farnfeldern vorbei. Dann stehen wir vor dem Leitwerk der Canso – moosbedeckt, aufrecht, fast ehrfurchtgebietend. Die Tragflächen liegen flach am Waldboden, wie von der Zeit zurückgefaltet. Der Rumpf ist noch begehbar, die Triebwerke zerborsten, aber als technische Form klar erkennbar.
Wir steigen weiter, ziehen uns an den Wurzeln der Urwaldriesen empor, um einen besseren Blick auf das gesamte Wrack zu bekommen. Es ist, als hätte der Wald das Flugzeug nicht nur verschluckt, sondern in sein Gedächtnis aufgenommen – jedes Metallstück, jede Schraube ist Teil dieses lebendigen Archivs geworden.
Ein Denkmal in Moos und Licht
Die Szenerie zeigt sich nicht in düsterem Nebel, sondern im klaren Sonnenschein. Ein ungewohnter Moment auf Vancouver Island, wo der Regen oft den Ton angibt. Doch gerade das Licht macht diesen Ort fotografisch so besonders – und so herausfordernd.
Die blanken Metallteile des Wracks reflektieren das Sonnenlicht mit solcher Intensität, dass zwischen den grellen Lichtflecken und den tiefen Schatten des Regenwalddachs extreme Kontraste entstehen. Die Dynamik zwischen Licht und Dunkel war so hoch, dass jede Aufnahme als High Dynamic Range (HDR) realisiert werden musste, um das volle Spektrum sichtbar zu machen.
Und Farbe – grell, gesprüht, bewusst gesetzt.
Das gesamte Flugzeug ist heute über und über mit Graffiti bedeckt. Was einst ein militärisches Objekt war, ist nun zugleich Leinwand für neue Ausdrucksformen geworden. Manche dieser Zeichnungen wirken respektlos, andere beinahe poetisch. Sie zeigen, wie selbst Orte des Stillstands von der Gegenwart berührt werden.
Aus Vergangenem entsteht Neues. Aus Zerstörung – manchmal auch Gestaltung.
So entstanden Bilder, die nicht nur das Wrack dokumentieren, sondern seine Integration in die Landschaft erfahrbar machen: Licht, das sich an den Kanten der Tragflächen bricht. Schatten, die durch offene Rumpfteile auf den Waldboden fallen. Und ein Ort, der gleichzeitig stillsteht – und leise erzählt.
Epilog: Die Sprache der verlorenen Orte
Lost Places ziehen uns magisch an. Sie sind mehr als nur verlassene Orte – sie sind langsam verschwindende Fragmente vergangener Epochen, eingebettet in Landschaften, die selbst oft schwer zugänglich sind. Genau diese Abgeschiedenheit schützt sie manchmal vor der schnellen Zerstörung durch Menschenhand.
So bleibt erhalten, was sonst längst verschwunden wäre: Ein Flugzeugwrack tief im kanadischen Regenwald. Ein rostiger Koloss aus einer anderen Zeit. Ein stummer Zeitzeuge, der von Mut, Technik und dem Wahnsinn des Krieges berichtet – ohne Worte, aber mit überwältigender Präsenz.
Diese Orte mahnen uns – vor Kriegen, Seuchen, fehlgeleiteten Entscheidungen. Und zugleich erinnern sie daran, dass das Vergangene nie vollständig vergeht. Es bleibt – manchmal verborgen unter Moos, manchmal sichtbar im Sonnenlicht – und wartet darauf, dass jemand zuhört.